Im Frühling wird Chicago zum Birding-Hotspot. Die Lage am Michigansee bringt tausende Vögel auf ihrem Zug in die Stadt. Insbesondere die „Warbler“ haben sich hier einen Namen gemacht. Die wenigen Rückzugsorte für die Tiere in der Stadt sind belebt und beliebt – bei Vogel und Mensch. Auch mich zogen diese Gebiete zehn Tage lang magisch an.
Warbler, was? Eine Einordnung
Warbler ist eine unwissenschaftliche Bezeichnung für Vögel, die sich in Habitus und Erscheinung ähneln: kleine, lautstarke Vögel, die unstet im Geäst nach Insekten suchen. In den USA umfasst diese Gruppe besonders zwei Familien: die Waldsänger (New World Warbler) und den monotypischen Trugwaldsänger. Deutsche Arten, die als Warbler angesehen werden, sind etwa Grasmücken oder Laubsänger.

Montrose Point Bird Sanctuary: Überschaubar und bedeutend

Wichtigster Anlaufpunkt für den Vogelzug in Chicago ist Montrose Point. Trotz der beschaulichen Größe von gerade mal rund neun Fußballfeldern ist es das bekannteste Vogelschutzgebiet in Illinois und ein Warbler-Hotspot. Die kleine Landzunge besteht es wenigen Bäumen, einem überschaubaren Schilfgebiet, einigen Hecken und einem kleinen Strandbereich, der direkt an den öffentlichen Badestrang „Montrose Beach“ anschließt.
Dem Ort wird eine Magie nachgesagt, so sehr gar, dass ein Bereich umgangssprachlich „Magic Hedge“ genannt wird. Dort sollen Warbler hineinfliegen und wenige Sekunden später als neue Art herauskommen. Was soll ich sagen? Wie beschrieben, so erlebt! Hunderte Vögel tummelten sich dort stundenlang im Geäst, verschwanden und traten an anderer Stelle wieder zum Vorschein. Es bleibt einem buchstäblich der Mund offen stehen.
LaBagh Woods: kleines Waldgebiet, großes ‚Aha‘
Nahm der Wind am See zu, zogen sich die Vögel häufig ins Landesinnere zurück. Ideale Vorzeichen, um LaBagh einen Besuch abzustatten. LaBagh woods ist ein kleines Waldgebiet mit See, das im Norden der Stadt liegt und nur etwas größer ist als Montrose Point. Und auch hier taten sich viele „Magic Hedge“-Momente auf. Eines morgens konnte ich rund 20 der eigentlich eher selteneren Braunkehl-Waldsänger (Bay-breasted warbler) zählen – in einem einzigen Baum.

Vogelfotografie in Chicago: Mehr als nur Warbler!

Neben all diesen kleinen, flinken Gesellen, die fotografisch eine enorme Herausforderung darstellten, weil sie unberechenbar sind und meist hoch oben in den Bäumen sitzen oder im Dickicht herumhüpfen, bietet Chicago wunderbare Möglichkeiten, auch über Warbler hinaus fantastische Vogelarten anzutreffen. Ich konnte während meiner Zeit dort unter anderem auch verschiedene Kuckucksarten, Nachtschwalben, Stärlinge und zahlreiche Regenpfeiferartige beobachten.
Imani, der Flötenregenpfeifer: Glückseligkeit im Sand
Die wohl berührendste Geschichte spielte sich am Strand von Montrose Point ab. Dort traf ich direkt am ersten Tag Matthew Dolkart, einen lokalen Fotografen, der mir im Vorfeld bereits einige Tipps zukommen ließ (Danke!). Er machte mich auf „Imani“ aufmerksam, einen kleinen Flötenregenpfeifer (Piping Plover), der wenig scheu den Strand hinauf und hinab stolzierte. Seine Art ist enorm gefährdet, weshalb eine Gruppe engagierter Vogelschützer sich größte Mühe gibt, auch in Chicago den Fortbestand zu sichern.
Imani ist der Sohn von „Monty“ und „Rose“, dem Flötenregenpfeiferpaar, das zu lokalem Ruhm gelang, weil es als erstes Paar seiner Art 2019 nach über 70-Jähriger Abstinenz wieder brütete. Drei Jahre in Folge nisteten sie erfolgreich. 2022 und 2023 kamen sie nicht zurück, und Imani bleib alleine, bevor „Sea Rocket“ alles ändert. Sie ließ sich 2024 auf Imani ein und verpaarte sich mit ihm.
An jenem Donnerstag standen wir vor dem abgesperrten Strandbereich, als plötzlich erst ein Raunen, dann Jubel durch die Gruppe der anwesenden Birder ging. Es war der Abend, an dem Sea Rocket, das Weibchen aus dem Vorjahr, zurückkehrte. Und tatsächlich begannen sofort Paarungsrituale, ein weiteres Männchen wurde von Imani vertrieben. Am 19. Mai, am Abend vor meiner Abreise, legte Sea Rocket ein erstes Ei (siehe CBS Chicago ). Mittlerweile sitzt sie auf 4-5 Eiern (genau Zahl unklar), und in wenigen Tagen wird voraussichtlich die neue Generation der Flötenregenpfeifer in Chicago schlüpfen.
Übrigens: zu Ehren von Monty und Rose wurde der 18. November in Illinois offiziell zum „Piping Plover Day” erklärt.

Chicago sehen? Nicht ohne Fernglas (oder Kamera)!
Mein Tipp: Wer im Frühling nach Chicago geht, sollte mindestens ein Fernglas dabeihaben. Die Stadt bietet nicht nur eine beeindruckende kulturelle und kulinarische Vielfalt, sondern auch eine unglaubliche Diversität an Vögeln sowie eine freundliche, offene Birding-Community, die sich mit Herz für den Erhalt der Tiere und die Einbindung von Gästen und Interessierten in ihre Aktivitäten einsetzt. Im April und Mai wird aus der Windy City die Birdy City!